Bidirektionales Laden ist längst mehr als nur eine Idee – es funktioniert bereits in ersten Märkten. In der Vorbereitung zur Sonderschau Bidirektionales Laden auf der Power2Drive Europe 2025 gibt Marcus Fendt von The Mobility House im Interview mit Carla Westerheide von electrive spannende Einblicke in V2G, aktuelle Innovationen und die Zukunft dieser Technologie.
Hallo und willkommen. Heute sprechen wir mit Marcus Fendt von The Mobility House über Vehicle-to-Grid (V2G)-Laden und die Zukunft des bidirektionalen Ladens.
Marcus, die erste Frage: Wer macht das Rennen – AC oder DC bidirektionales Laden?
AC oder DC? Aus musikalischer Sicht natürlich beides! (lacht)
Ich kann nicht genau sagen, welche Technologie sich letztendlich durchsetzt, aber ich glaube, dass beide für bestimmte Anwendungen bestehen bleiben werden.
Rein technisch betrachtet sollte AC auf lange Sicht die bessere Lösung sein. Und mit „lange Sicht“ meine ich fünf Jahre und mehr. Der Grund dafür ist, dass AC die Kosten für die Kunden weiter senken kann – ein entscheidender Faktor für den Erfolg dieser Technologie. Dennoch wird AC nicht die beste Lösung für jeden Anwendungsfall sein.
Die wichtigste Innovation ist: Wir sind live! Darüber haben Sie ja bereits berichtet.
Wir haben V2G im realen Einsatz – mit einem Serienfahrzeug, einem Serienprodukt und einem Energietarif, der für Kunden verfügbar ist.
Nach 15 Jahren harter Arbeit – in denen unser Team unermüdlich programmiert, diskutiert und mit allen Beteiligten koordiniert hat – funktioniert es endlich! Leider bisher nur in Frankreich. Das ist großartig als Proof-of-Concept, aber ich hätte mir gewünscht, dass Deutschland genauso schnell ist. Aktuell hängen wir etwa eineinhalb Jahre hinterher.
Die wichtigste Erkenntnis: Es funktioniert!
Was sind die entscheidenden Elemente? Das Auto ist bereits auf dem Markt, es hat einen AC-Lader, und wir haben Zugang dazu. Kunden können über eine benutzerfreundliche App ihre Präferenzen einstellen, und wir können diese Fahrzeuge aggregieren, um am Energiemarkt teilzunehmen. In Frankreich erhalten Kunden 10 Cent pro angeschlossener Stunde.
Auf Kundenseite läuft das System nahezu perfekt. Im Hintergrund gibt es noch einige technische Herausforderungen, die wir lösen müssen, bevor wir auf weitere Automobilhersteller, mehr Länder und zusätzliche Anwendungsfälle skalieren können. Sobald das erledigt ist, können wir mit dem Massen-Rollout beginnen.
Aber V2G ist nicht die einzige Lösung. Es gibt auch V1G, das jedes Elektrofahrzeug bereits heute nutzen kann. Besonders Flottenfuhrparks haben ein wachsendes Interesse daran, da sie große Energiemengen verbrauchen.
Ein Beispiel: Ein einzelner Bus in einem Depot verbraucht pro Jahr rund 100 Megawattstunden. Sobald Flottenbetreiber ihre anfänglichen Ladeherausforderungen gemeistert haben, denken sie schnell über ihre Energiekosten nach – denn das sind Betriebskosten, die sie senken können.
Auch Privatkunden in Deutschland entdecken dieses Potenzial – vor allem dank neuer Regelungen wie §14a des Energiewirtschaftsgesetzes, das Netzentgeltvergünstigungen bietet. Mit intelligentem Laden (V1G) können sie bereits heute rund 400 € pro Jahr sparen, indem sie ihr Auto laden, wenn die Sonne scheint oder das Stromnetz nicht überlastet ist. Das wird zunehmend zu einem Standardprodukt.
Sowohl V1G als auch V2G werden sich weiterentwickeln – in mehr Ländern und mit mehr Marktteilnehmern.
Damit V2G funktioniert, müssen zwei zentrale Bedingungen erfüllt sein:
1. Ein dereguliertes Energiemarktumfeld, in dem sich mit Flexibilität – also durch das Laden und Entladen von Batterien – Geld verdienen lässt.
2. Eine geeignete Infrastruktur für Endkunden, z. B. Smart Metering.
Diese Voraussetzungen schränken die Zahl der möglichen Märkte ein. Unser nächster Schritt in diesem Jahr ist Großbritannien. Deutschland ist noch nicht vollständig dereguliert, aber hoffentlich ist es nächstes Jahr so weit.
In den USA wird Texas ein interessanter Markt sein. Kalifornien könnte unter bestimmten Bedingungen ebenfalls funktionieren. Wir schauen uns auch Japan an, wo kürzlich eine Ausnahmegenehmigung für V2G über reine Notstromversorgung hinaus eingeführt wurde.
Kleinere Märkte mit einer überschaubaren Anzahl an Elektrofahrzeugen, wie die Niederlande, die Benelux-Staaten, Dänemark, Norwegen und Schweden, sind ebenfalls auf unserem Radar. Allerdings ist der Bedarf an Flexibilität in Schweden geringer, da das Land stark auf Wasserkraft setzt, die bereits ausreichend Energiespeicher bereitstellt. Das Potenzial für den Kunden ist dort begrenzter.
Gute Frage! Einer der wichtigsten globalen Trends ist das, was in China passiert. Ich war überrascht, Berichte zu lesen – möglicherweise sogar von Electrive –, dass China bereits „Peak Oil“ erreicht haben soll. Zum ersten Mal ist der Ölverbrauch im Vergleich zu den Vorjahren gesunken. Natürlich spielt die wirtschaftliche Abkühlung eine Rolle, aber der Hauptgrund ist, dass inzwischen 50 % aller Neuzulassungen elektrisch sind. Busse und Lkw folgen diesem Trend ebenfalls. Das bedeutet, dass sie viel weniger Öl benötigen als früher. Gleichzeitig investiert China massiv in erneuerbare Energien – Solar, Wind und stationäre Speicher.
Der führende globale Trend ist daher die Kombination aus kostengünstiger Energieproduktion und Energiespeicherung für Flexibilität. Und die günstigste Speicheroption sind EV-Batterien, weil Autos im Schnitt 23 Stunden am Tag geparkt sind. In Deutschland liegt die durchschnittliche tägliche Fahrstrecke bei 36 km – das entspricht etwa 8 kWh Energieverbrauch. Bei effizienteren E-Autos ist es sogar noch weniger.
Die globalen Trends sind daher klar: mehr erneuerbare Energien → mehr Flexibilität im Stromnetz → mehr Energiespeicherung → entweder durch stationäre Speicher oder durch Fahrzeuge. Diese Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten, weil die Wirtschaftlichkeit der erneuerbaren Energien einfach zu überzeugend ist. Selbst ein „Drill, Baby, Drill“-Ansatz wird daran nichts ändern – es sei denn, man zwingt Menschen, eine billigere Lösung nicht zu nutzen.
Deshalb werden die Zukunftstrends ganz klar erneuerbare Energien und die Bereitstellung von Flexibilitätsdiensten aus EV-Batterien sein.
Wird es Konkurrenz zwischen stationären Speichern und EV-Batterien geben? Ja – aber nicht in den nächsten zehn Jahren.
Derzeit lernen wir noch aus dem Einsatz stationärer Batteriespeicher. Sie sind in ihrer Kapazität begrenzt, weil sie nicht so viele Netzanschlüsse haben. Mit EVs kommen nun aber noch viel größere Kapazitäten hinzu, und wir wissen bereits, wie leistungsfähig und nützlich Batterien sind. Davon profitieren sowohl die Elektroautos als auch ihre Fahrer. Es ist eine natürliche Win-Win-Situation.
Als Unternehmer kann ich mir keine Kristallkugel leisten! (lacht)
Aber ich kann sagen: Anfang nächsten Jahres werden zwei weitere Automobilhersteller bidirektionale Fahrzeuge auf den Markt bringen. Mit zwei bis drei weiteren laufen bereits Gespräche für die kommenden Jahre. Ab 2026 wird nahezu jedes neue Elektroauto bidirektional sein. Jetzt liegt es an uns, die führende Plattform bereitzustellen. Ich bin unglaublich stolz auf unser Team – wir sind jetzt in der vollen Umsetzungsphase!
Natürlich!