Herr Ruschmeyer, das Autoland Deutschland hinkt anderen europäischen Ländern beim Ausbau der E-Mobilität hinterher. Woran liegt das?
Die deutschen Automobilhersteller haben zu lange am fossilen Antrieb festgehalten, weil er global weiterhin ein gutes Geschäft verspricht. Und die Politik hat die Autoindustrie unnötigerweise vor notwendiger Innovation geschützt. Der Hinweis auf die vielen Arbeitsplätzen hat sein übriges getan. Anders übrigens als bei der Erneuerbare Energien-Branche. Aktuell gehen in der Windbranche ca. 40.000 Arbeitsplätze verloren. Doppelt so viele wie noch im Kohleabbau arbeiten, die mit 40 Mrd. Euro bis 2038 weiter unterstützt wird. Der notwendige Strukturwandel geht anders.
Was hauptsächlich bremst die E-Mobilität in Deutschland: fehlendes Bewusstsein der Verbraucher – immerhin handelt es sich bei jedem vierten in Deutschland zugelassenen Fahrzeug um ein SUV –, zögerliche Vorgaben der Politik oder eine lasche Modellentwicklung der deutschen Automobilindustrie?
Falsche Bilder und Mythen zur E-Mobilität werden zuhauf produziert. So bringt die konservative Seite immer noch Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe ins Spiel, die wir zwar benötigen, aber sicher nicht im Pkw-Bereich. Und die Automobilhersteller wollen weiter gewinnträchtige SUVs verkaufen. Aber sie fahren damit sehenden Auges in die Strafzahlungen ab 2020, weil sie die Flottengrenzwerte nicht erreichen werden und hohe Strafzahlungen dafür fällig werden. Das ist meines Erachtens der wahre Grund, warum sie nun plötzlich oder endlich – wie man es sehen will – auf E-Mobilität setzen, obwohl die Margen hierbei geringer sind. Zur Politik: Sie subventioniert weiterhin Dieselkraftstoff mit ca. acht Mrd. Euro pro Jahr. Elektrofahrzeuge und die Ladeinfrastruktur unterstützt sie dagegen in den kommenden drei Jahren mit lediglich ein bis zwei Mrd. Euro. Das ist irrational, aber weiterhin Realität. Wo bleibt da die Glaubwürdigkeit der Politik in Sachen Klimawandel?
Das von der Bundesregierung formulierte Ziel von einer Million Elektrofahrzeugen bis 2020 hat sie bei weitem verfehlt. Wann werden wir die Zahl unter den derzeit gegebenen Rahmenbedingungen erreichen?
In der Nationalen Plattform Mobilität gehen wir offiziell davon aus, dass die Zahl in den Jahren 2022 bis 2023 erreicht werden kann. Plug-in-Hybridfahrzeuge werden dabei mitgezählt. Meines Erachtens werden reine Batterie-Elektroautos erst später gegen 2025 die Millionengrenze in Deutschland erreichen, auch wenn die deutschen und internationalen Automobilhersteller wegen der anstehenden Strafzahlungen ab dem kommenden Jahr verstärkt Elektrofahrzeuge anbieten werden. Deutsche Hersteller haben sich nun endlich Batterie-Kontingente gesichert. Zuvor haben sie nicht daran geglaubt und nicht entsprechend in Asien geordert. In Deutschland gibt es bislang keine Lithiumbatterien und ob hierzulande eine Gigafactory entsteht, das hängt eher von Tesla ab als von der deutschen Industrie. Wir werden sehen, was angebotsseitig demnächst verfügbar sein wird. Werden es eher nur E-SUVs sein, ist der Effekt dabei natürlich kleiner. Die Verkehrsproblematik würde damit nicht wirklich gelöst.
Welche Maßnahmen braucht es aus Ihrer Sicht, um die Millionen-Marke möglichst schnell zu erreichen?
Wir müssen im Verkehrssektor konsequent auf zusätzlich erzeugte Erneuerbare Energie setzen. Es braucht einen Umbau der Energiewirtschaft insgesamt und den Aufbau von Batteriefabrikationen. Die Politik muss Verbrenner zeitnah verbieten und eine konsequente Verkehrs- und Energiewende vollziehen, um wirksam gegen den sich verstärkenden Klimawandel vorzugehen.
Immer mehr Bundesbürger wollen mit dem Solarstrom vom eigenen Dach die Batterien ihrer Elektrofahrzeuge füllen. Bringt das den Push?
Ja. Insbesondere wenn die ersten Photovoltaikanlagen aus der EEG-Vergütung fallen, aber immer noch hervorragend funktionieren, liegt es auf der Hand, mit dem Strom ein Elektrofahrzeug zu betreiben. Diese müsste idealerweise tagsüber daheim stehen oder es müsste ein Speicher installiert sein. Apropos Speicher: Sie werden zu einem zentralen Baustein nicht nur aber auch im Verkehrssektor in unserer künftigen Erneuerbare Energien-Versorgung, wie auf The smarter E Europe zu sehen sein wird.
Welche neuen Geschäftsmodelle für die E-Mobilität sehen Sie mit dem wachsenden Anteil erneuerbarer Energien an der nationalen Stromerzeugung heraufkommen?
Das ist ein eigenes Thema. Generell benötigen wir für die E-Mobilität zusätzlichen Erneuerbare Energien-Strom. Und das möglichst zeitnah und regional, um Speicher- und Übertragungsverluste zu vermeiden. Wer das zu vergleichbaren Kosten und Konditionen anbieten kann, kann der neue „Erneuerbare Energien-Scheich“ werden. Ein erster Schritt für die E-Mobilität wäre es, den Paragraph 14a im Energiewirtschaftsgesetz für sie zu öffnen. Er erlaubt Betreibern von Elektrizitätsverteilernetzen denjenigen Lieferanten und Verbrauchern im Niederspannungsnetz, mit denen sie Netznutzungsverträge abgeschlossen haben, ein reduziertes Netzentgelt zu berechnen, wenn sie mit ihnen im Gegenzug die netzdienliche Steuerung von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen vereinbaren. Das würde ein zwar kleines, aber politisches Preissignal setzen. Damit könnte eine Struktur geschaffen werden, die Elektrofahrzeuge beim Laden nicht mit dem Toaster oder der Kaffeemaschine gleichschaltet, sondern sie quasi automatisch zu Zeiten geladen werden könnten, wenn sie nicht gebraucht werden, zum Beispiel über Nacht. Ein Schritt weiter würde es bedeuten, dass Elektrofahrzeuge, wenn zu viel Solar- und Windstrom ins Netz kommt, den Strom aufnehmen könnten. Und noch einen Schritt weiter könnte es bedeuten, dass Elektrofahrzeuge den Strom auch zurück speisen könnten. Ein günstiges Durchleiten des heimischen Erneuerbare Energien-Stroms, in der Regel ist das heute Solarstrom, beispielsweise an den Arbeitsplatz wäre sicher auch hilfreich.
Wie sehen Sie die Perspektiven der E-Mobilität in Deutschland in naher Zukunft?
Das hängt von folgenden Fragen ab: Wer liefert wann welche Art von Elektrofahrzeugen zu welchen Konditionen? Wer nutzt wann welche Art von Elektrofahrzeug zu welchen Konditionen? Wer liefert den zusätzlichen Erneuerbare Energien-Strom zu welchen Konditionen? Und zu guter Letzt: Welche Rahmenbedingungen setzt die Politik und mit welchen Produkten und mit welchem Service kommen nicht nur die deutschen Automobilhersteller wann auf den Markt? Anders gesagt: Es braucht von vielen Seiten entsprechende Initiativen. Das Angebot für die Mobilität muss passen, die Politik muss fordern und fördern, der Verbraucher muss sich pro Klima entscheiden und sein Verhalten entsprechen ändern. Das muss nicht zu seinem Nachteil gereichen, sondern bietet neue Optionen. Vor allem ist es notwendig.